Die Warner, die nicht gehört wurden

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Von Christoph Neidhart, Tokio . Aktualisiert am 28.03.2011
Eine Studie der Universität Kobe hat den Verlauf der Nuklearkatastrophe vorhergesagt. Die Kraftwerkbetreiberin Tepco wollte damals nichts davon wissen.

Mit einem Tsunami dieser Stärke habe man nicht rechnen können, behauptete Tepco-Präsident Masataka Shimizu, bevor er sich für die «Unannehmlichkeiten», entschuldigte, die das havarierte AKW den Japanern bereite. Dabei muss Shimizu die Gutachten gekannt haben, die die japanische Atomindustrie vor eben solchen Erdbeben und Killer-Tsunamis warnten.


Katsuhiko Ishibashi von der Universität Kobe hat den Verlauf der derzeitigen Nuklearkatastrophe von Fukushima vorausgesagt. «Ein Erdbeben und seine Folgen, also ein Tsunami, könnte mehrere Teile eines AKW ausschalten. Das würde dazu führen, dass man den Reaktor nicht mehr kühlen kann. Die Brennstäbe beginnen zu schmelzen. Es könnte zur Kernschmelze oder sogar zu einer nuklearen Explosion kommen. Auch Wasserstoffexplosionen wären möglich, warnte der Professor im Februar 2005 eine Parlamentskommission. Ausserdem könnte die Hilfe für die Erdbebenopfer wegen radioaktiver Verseuchung behindert werden. Genau das ist in Fukushima passiert.

Anderes AKW hielt stand

Ishibashi hatte für seine Expertise freilich nicht Fukushima untersucht, sondern das AKW Hamaoka, das direkt über zwei Erdbeben-Bruchlinien steht. «Das wäre ein Todesstoss für Japan, und zwar für Generationen», so Ishibashi. Wenn viel Radioaktivität frei würde, müsste man Tokio evakuieren, warnte er die Parlamentarier. Die Hauptstadt liegt nur 200 Kilometer von Hamaoka entfernt – in der Hauptwindrichtung. In der Region von Hamaoka kam es in den letzten tausend Jahren etwa alle 150 Jahre zu einem schweren Erdbeben, zuletzt im Jahr 1854.

Tepcos Konstrukteure haben das AKW Fukushima für Tsunamis von einer maximalen Höhe von 5,4 Metern ausgelegt. Der Tsunami vom 11. März erreichte dort 14 Meter. Auch davor war Tepco gewarnt, wie drei Experten am Freitag in der japanischen Tageszeitung «Asahi Shimbun» schreiben. Dass die Schäden am AKW Fukushima bei einem besseren Tsunami-Schutz geringer ausgefallen wären, zeige das AKW Onagawa der Betreibergesellschaft Tohoku-Epco, das 120 Kilometer nördlich von Fukushima I ebenfalls im Katastrophengebiet liegt, aber für einen Tsunami von 9,1 Metern ausgelegt war. Es nahm nur geringfügig Schaden.

Tsunamis sind nichts Neues

Die Erdbebenforschung hat in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht. Deshalb gab es seit den 1990er Jahren Bestrebungen, die Sicherheitsauflagen zu verschärfen. Die Atomindustrie wehrte sich dagegen. «Damals waren viele AKW im Bau, die Industrie übte Druck aus, die Auflagen nicht zu verändern», sagt Kenji Sumida, ein emeritierter Professor für Nukleartechnik der Uni Osaka. «Reaktoren, die man stilllegen oder nachrüsten muss, kosteten viel Geld. Deshalb kam es zur politischen Entscheidung, die Anpassung der Vorschriften zu verschieben.»

Man brauchte freilich keine Geologen, um zu wissen, dass an der Sanriku-Küste Killer-Tsunamis auftreten. Ein Blick in die Geschichtsbücher genügt. In den Jahren 869 und 1500 verwüsteten womöglich noch stärkere Tsunamis diese Küste. Das Beben von 869 wird auf eine Stärke von 8,6 geschätzt. Koji Minoru von der Tohoku-Universität wies anhand von Sedimenten nach, dass der Tsunami von 1500 vier Kilometer hinter die Küste drang. Auch die Sanriku-Erdbeben von 1896 und 1933 verursachten höhere Tsunami-Wellen: An manchen Stellen waren sie bis 28 Meter hoch. Der Fernsehsender NHK zeigte vor einem Jahr einen Dokumentarfilm über diese Tsunamis.

Regierung mitschuldig

Im Erdbebenausschuss der Regierung habe man über diese historischen Tsunamis durchaus diskutiert, wird Kunihiko Ozaki, ein emeritierter Professor von der Uni Tokio, im Expertenbeitrag in der «Asahi Shimbun» zitiert. Dennoch behauptet die Website von Tepco auch heute noch, die Firma habe historische Fakten berücksichtigt, das Atomkraftwerk halte selbst den grössten Bedrohungen stand.

Gegenüber der «Japan Times» sagte der Seismologe Yasuhiro Suzuki, man könne nicht alle Schuld Tepco zuschieben, die Regierungen und ihre Agentur für nukleare Sicherheit tragen die Verantwortung.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 28.03.2011, 04:00 Uhr

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