Die Modemacher-Macherin

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Ярилцсан Tillmann Prüfer
Эх сурвалж Zeit online 2009.11.06
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Das Büro, von dem der größte Einfluss auf die internationale Modewelt ausgeht, ist nicht mehr als eine kleine Kammer in Paris. In der Mitte ein Schreibtisch, auf dem ein Blumensträußchen um Aufmerksamkeit kämpft inmitten von Bergen von Papier. An den Wänden weiße Billy-Regale.

Eine Dame steht mit leicht gebeugtem Rücken und einer selbstbewussten Haartolle am Schreibtisch und wühlt im Papierwust. Sie ist ein bisschen ungeduldig, denn sie hat nicht viel Zeit. Sie hat nie viel Zeit, vor allem nicht während der Modewoche. "Paris ist immer wieder überraschend", sagt sie. "Gestern war ich bei der Schau von John Galliano in einer Industriebaracke. Das Dach war undicht. Ich saß in der ersten Reihe mit einem Regenschirm." Sie findet ihren Laptop. Nun ist das Powerpaar der Modebranche perfekt: Suzy Menkes, die Modechefin der Zeitung International Herald Tribune, und ihr Computer.


Nur wenige Menschen außerhalb der Luxusbranche können etwas mit ihrem Namen anfangen. Vielleicht auch, weil die Herald Tribune, eine von der New York Times in Paris herausgegebene internationale Tageszeitung, eine sehr ausgesuchte Leserschaft hat. Aber dennoch beeinflusst Suzy Menkes das Leben von Millionen. Sie ist der Marcel Reich-Ranicki der Mode. Nur dass ihr Einflussgebiet nicht Deutschland ist, sondern die ganze Welt.

Allein während der internationalen Schauen zu den Frühlings-Sommer-Kollektionen hat die Modekritikerin 26.000 Wörter in ihren Computer getippt. Und jedes davon wird aufmerksamer gelesen als alle anderen Äußerungen der Modepresse. Der in Marokko geborene Designer Alber Elbaz, der für Lanvin entwirft, sagte einmal, er stehe am Tag nach seiner Präsentation immer um sechs Uhr auf, um einer der Ersten zu sein, der die Herald Tribune liest. Erst dann wisse er, ob er gut gearbeitet habe.

Wie groß ihre Macht ist, spürt man vor allem dann, wenn die Branche gegen die 65-Jährige aufbegehrt. Einmal schrieb Menkes über ein Defilee von John Galliano für Dior, es sei eine "grausige Parade entsetzlicher Kleider gewesen", die aussähen "wie aus einem Comic". Daraufhin wurde Menkes von sämtlichen Schauen des Modekonzerns LVMH ausgeladen. Das Medienecho war so negativ, dass man schnell wieder zurückruderte. Zuletzt war ihr Einfluss bei den Defilees in Mailand zu spüren. Die zum jüdischen Glauben konvertierte Engländerin arbeitet grundsätzlich nicht am jüdischen Feiertag Jom Kippur. Dieses Jahr fiel er mitten in die Mailänder Modewoche. Kaum eine Show fand statt. Für die Designer ist es ein schlechtes Omen, wenn sie nicht in der ersten Reihe sitzt.

Nun fällt Suzy Menkes’ Blick auf ein Bild auf ihrem Schreibtisch. In silbernem Rahmen prangt die Miniatur eines grünen Folklorekleides: "Was ist denn das Entsetzliches? Ich habe keine Ahnung mehr, woher das kommt." Dabei ist es fast der einzige Schmuck in ihrem Büro. Abgesehen von einem liebevoll zusammengeklebten Holzhaus auf dem Fensterbrett. Es ist das Modell ihres Sommerhauses in der französischen Provinz, wo sie nur noch selten hinkommt. Das Häuschen ist das Hübscheste, was man in ihrem Fenster sehen kann. Der Ausblick auf die Betonfassade ist deprimierend. Sie zuckt die Schultern: "Ich bin ohnehin nie hier."

Außer in ihrem Büro und ihrem Landhaus ist sie jedoch fast überall. Pro Jahr sieht sie fast 600 Schauen ("es fühlt sich aber nach mehr an"). Allein in diesem Jahr hat sie mehr als 120 Artikel für die International Herald Tribune geschrieben, aus New York, Paris, London, Mailand, Florenz, Berlin, Neu-Delhi.

Keine Schau beginnt, bevor Suzy Menkes nicht da ist, heißt es. Meist ist Suzy Menkes aber sowieso eine der Ersten, die ihren Platz am Laufsteg einnehmen. Seit 40 Jahren arbeitet sie im Modejournalismus – und niemand betreibt ihn so ernsthaft wie sie. Im vergangenen Sommer besuchte sie erstmals die noch sehr junge Berliner Modewoche. Und genauso wie sie in New York, Mailand, London, Paris bemüht ist, möglichst alle Präsentationen zu sehen, war sie das auch in der deutschen Hauptstadt. Bei einigen Schauen nahm sie – etwas verwundert – fast allein in der ersten Reihe Platz. Die Modeexperten der großen deutschen Magazine hatten meist anderes zu tun, als den jungen Designern im eigenen Land Beachtung zu schenken. Suzy Menkes erledigte ungerührt ihren Job – und lobt die "rohe Energie" , die sie in Berlin spürte.

Im November wird sie wieder dort sein. Dann hält sie für die International Herald Tribune eine Konferenz ab zum Thema "Techno Luxury". Wenn Suzy Menkes einlädt, kommen alle. Christopher Bailey wird sprechen, der Kreativchef von Burberry, ebenso Tomas Maier, der Designer der italienischen Modemarke Bottega Veneta. Sogar Claudia Schiffer soll am Rednerpult stehen. Suzy Menkes wird darüber referieren, wie neue Materialien die Mode revolutionieren und welche Bedeutung das Internet für die Mode hat. "Manche Marken versuchen immer noch, das Internet aus ihrer heilen Welt herauszuhalten." Suzy Menkes findet diese Haltung töricht. "Ich interessiere mich für Mode, weil sie von der Zukunft handelt", sagt sie. "Ich kann Leute nicht verstehen, die sich über Handys beklagen." Suzy Menkes jedenfalls hat ihr iPhone ständig am Ohr.

Die Umwälzung, das ist ihr Lebensthema. Ihre eigene Karriere gründete sie darauf, dass die Modewelt in den siebziger Jahren neu erfunden wurde. Und auch heute beobachtet sie voller Enthusiasmus, wie die Welt der Luxusmarken umgepflügt wird. Auch wenn das bedeuten könnte, dass jemand wie Suzy Menkes bald nicht mehr gebraucht wird.

In den siebziger Jahren, als sie begann, regelmäßig über Mode zu schreiben, stand die Pariser Couture am Anfang einer Krise. Immer weniger Menschen interessierten sich für Modeschöpfer, die den Damen der besseren Gesellschaft diktierten, welche Silhouette sie tragen sollten. Aus Amerika kam ein Stil, der auf der Straße geboren wurde, in Italien begeisterten junge Designer wie Roberto Cavalli und Giorgio Armani. Und Suzy Menkes bekam ihren ersten festen Job beim Londoner Evening Standard.

Es war Charles Wintour, der sie entdeckte, der damalige Chefredakteur und Vater von Anna Wintour, heute als Chefin der amerikanischen Vogue neben Menkes die andere Großmacht der Modebranche. "Anna war damals ein schüchternes Mädchen, und weil sie die Tochter des Chefs war, war ich natürlich sehr höflich zu ihr", erinnert sich Menkes. Sie hingegen war das, was man einen Feger nennen würde: selbstbewusst, frech und politisch. Suzy schminkte sich die Augen dunkel, ihre Haare trug sie turmhoch. Ihr Markenzeichen, die Haartolle, schaffte sie sich erst an, als sie 1988 den Job bei der Herald Tribune antrat. Sie brach die elitären Muster auf und schaffte es, über Mode so verständlich zu schreiben wie andere über Politik oder Fußball.

Mode war für sie nicht das Phänomen einer Elite, sondern Ausdrucksmittel der Gesellschaft: "Mode ist eine Sprache. Alles, was die Menschen bewegt, zeigt sich zuerst in der Mode der Zeit." Etwa die kastige, maskuline Kleidungsweise der vierziger Jahre: "Die Männer waren im Krieg, also hatten die Frauen die Jobs übernommen." Oder die breiten Schultern der achtziger Jahre: "Es war Ausdruck dafür, dass Frauen anfingen, eine eigene Karriere zu machen."

Die Emanzipation der Frau, das ist überhaupt das große Thema von Suzy Menkes. "Ich mag Kleidung nicht, die Frauen in ihrer Bewegung hindert, sie einschnürt", sagt sie. "Frauen sollten sich nicht wie kunstvoll verpackte Geschenke für Männer präsentieren."

Suzy Menkes hat in ihrem Leben nie männliche Vorbilder gebraucht. Ihr Vater war Pilot im Zweiten Weltkrieg und kam kurz vor ihrer Geburt ums Leben. Die Mutter zog mit Suzy und deren Schwester aufs Land bei Brighton und ernährte die Familie mit ihrer Witwenrente. "Wir trugen ländliche Kleidung, wir mussten uns nicht für Partys schick machen." Suzy entwickelte trotzdem schon früh einen Sinn für Mode. Als jüngere von zwei Schwestern musste sie stets die abgelegte Kleidung der älteren auftragen, bis sie eines Tages rebellierte: "Ich muss elf Jahre gewesen sein, als meine Mutter mir ein grünes Samtkleid meiner Schwester anziehen wollte. Ich habe einen schrecklichen Aufstand gemacht. Schließlich gab sie auf, und ich bekam ein blaues Kleid. Seitdem habe ich nie wieder etwas Grünes getragen."

Doch bei allem Enthusiasmus steht Menkes der Mode immer distanziert gegenüber, sie macht sich mit nichts gemein, nimmt keine Geschenke an, begibt sich nicht in Abhängigkeiten. "She makes or breaks a designer", wird Suzy Menkes gerne nachgesagt sie mache einen Designer zum Star oder vernichte ihn. Suzy Menkes ist nicht stolz auf diese Einschätzung. Mit ihrem Image der Unerbittlichkeit kann sie nichts anfangen: "Ich urteile niemals nach meinem eigenen Geschmack. Ich versuche, der Kollektion gerecht zu werden."

Welchen Geschmack hat Suzy Menkes? Sie schätzt den barocken Zauber eines John Galliano genauso wie die düstere Wut eines Raf Simons. Sie möchte, dass ein Designer ein Thema hat, dass er weiß, was er will, und versteht, in welcher Zeit er lebt. Ein Designer, dem sie keine große Bedeutung beimisst, hört von Menkes selten harte Worte. Geringschätzung verrät sie in Halbsätzen, über die niederländischen Designer Viktor & Rolf schrieb sie, dass die beiden "mehr Geschäftssinn als Talent" zeigten. Bei jenen, von denen sie Großes erwartet, wird sie deutlicher. Über Karl Lagerfeld spottete sie, ihm fehle "eine Mutter, die ihm sagt, wann er zu weit geht". Und Marc Jacobs schalt sie sogar einmal, er habe eine "schlechte, traurige" Show präsentiert, die "alles symbolisiert, was zurzeit in der Mode schiefläuft".

"Es stimmt nicht, dass ich Designerkarrieren beenden könnte", sagt sie. Wer Millionen für eine Kollektion ausgebe und dann vom Urteil eines einzigen Kritikers abhänge, habe ohnehin seinen Beruf verfehlt. "Aber Medien können auch unbekannte Designer ins Rampenlicht stellen." So wie sie die Karriere des Londoner Designers Christopher Kane befördert hat oder schon zu den frühesten Bewunderern von Christian Lacroix zählte.

Heute ist es wieder so weit, dass die Welt der Mode sich wandelt. Es sind "dramatische Veränderungen", wie Suzy Menkes sagt. Und diese Veränderungen betreffen auch sie. "Früher waren wir Modejournalisten die Ersten, die eine Kollektion zu sehen bekamen, danach vergingen Monate, bis die Kleidungsstücke verfügbar waren." Ihr Blick und ihr Urteil bestimmten darüber, welches Bild von der Mode um die Welt gehen würde. "Es war sogar verboten, Skizzen anzufertigen", sagt sie. Dann kamen Digitalkameras auf und das Internet – und plötzlich waren die Kollektionen sofort weltweit zu sehen. Und sie konnten weltweit kopiert werden. Es war die Geburt der Fast Fashion. Seitdem können alle aktuelle Mode von Zara, H&M und Mango tragen – nach dem Vorbild von Spitzendesignern.

Mittlerweile sind die Massen nicht nur bei den Schauen dabei, sondern beurteilen sie auch. Während Suzy Menkes noch an ihrem Laptop schreibt, sind schon die ersten Bilder im Internet unterwegs und werden in den Mode-Blogs diskutiert. "Die Marken haben ihr öffentliches Bild nicht mehr unter Kontrolle", sagt sie. Jeder könne heute Modekritiker sein.

So bekommt Suzy Menkes, die früher einmal die gesättigte Modepresse herausforderte, nun selbst Konkurrenz. Bei den Schauen in New York saß nicht weit von ihr die erst 13-jährige Tavi Gevinson, die das Blog Style Rookie betreibt. "Einerseits wirkt das lächerlich – andererseits braucht die Mode dringend frische junge Stimmen. Es gibt sehr gute Leute unter den Bloggern", sagt Menkes.

Die Zukunft wird ihrer Meinung nach so aussehen, dass die Mode gleichzeitig beim Konsumenten und beim Kritiker ankommt. Die Zukunft sind Modenschauen wie die von Alexander McQueen in Paris, wo das Defilee von Kamerarobotern begleitet wurde, die das Ereignis ins Internet übertrugen. Von da ist es nur ein kleiner Schritt, bis man die Teile schon während der Schau im Internet bestellen kann.

"Ich habe mich nie um die Rolle beworben, die mir zugesprochen wurde", sagt Menkes. "Niemand ist unersetzlich, vor allem nicht im Journalismus." Was passiert, wenn man sich nicht um Nachfolger bemüht, kann sie sehen, wenn sie die Modemetropole Mailand besucht. "Dort müsste es jetzt einen großen Wechsel geben. Aber wir Europäer glauben, dass wir unersetzlich sind." Während in Japan Modeschöpfer wie Issey Miyake junge Designer fördern, präsentieren sich Giorgio Armani und Roberto Cavalli noch immer, als wären sie unsterblich.

"Mode ist ein Geschäft junger Leute", sagt Suzy Menkes. Sie merkt, dass sie weniger auf Modepartys herumsteht als früher. Allerdings war Mode nie das Wichtigste in ihrem Leben. Sie hat drei Söhne großgezogen und war 20 Jahre lang verheiratet mit David Spanier, einem Redakteur der Londoner Times. Er schrieb die erste Poker-Kolumne in England. "David wollte immer, dass wir in Onlinepoker investieren", sagt Suzy Menkes. "Wir wären heute vermutlich Millionäre."

Vor neun Jahren starb er an einem Hirnschlag. "David war ein noch viel besserer Schach- als Pokerspieler", sagt sie. "Er war sehr gut in der Beendigung einer Partie. Ich bin nicht gut im endgame. Ich weiß nicht, was kommen wird. Vielleicht etwas Wunderbares." Suzy Menkes sagt, sie werde möglicherweise ein Buch schreiben. Viele würden ihr zureden, ihre Fotos zu veröffentlichen. Suzy Menkes fotografiert? "Schnappschüsse, ich mache immer Schnappschüsse bei den Modenschauen. Für mich." Vielleicht gebe es irgendwann auch ein Suzy-Menkes-Fashion-Blog, sagt sie. Fest stehe nur eines: dass sie nicht im Dienst sterben möchte. "Das ist eher Karl Lagerfelds Ding."
* Copyright: ZEITmagazin, 29.10.2009 Nr. 45
* Adresse: http://www.zeit.de/2009/45/Suzy-Menkes-45

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